Katalog zur Ausstellung „Stein zu Papier“, Auszug aus dem Katalogtext
Astrid Weichelt – Wirken, Werkprozess und Winckelmann
Das Werk der Berliner Künstlerin Astrid Weichelt überrascht gleich auf dreifache Weise: Zum einen ist es das Material – flache Papierbögen – aus dem sie dann dreidimensionale Bildgeschöpfe formt. Zum zweiten unterliegen ihren Geschöpfen reale Relikte vergangener Kulturen, etwa Fragmente historischer Architektur oder Bruchstücke antiker Plastik, oft auch Büsten bekannter Persönlichkeiten. Zum dritten – und hier vollzieht sich der eigentliche kreative Akt künstlerischer Imagination – werden die originalen Fragmente in der Abformung ihres ursprünglichen Kontextes entzogen. Aus dem Zusammenspiel der Elemente erschließen sich völlig neue Sinnebenen. Durch diese Transformationen entstehen nicht nur bemerkenswerte neue, ästhetisch reizvolle Figurationen, sondern auch überraschende Wahrnehmungs-perspektiven für den Betrachter. Die meist ironisch und zugleich nachdenklich stimmenden Kompositionen sensibilisieren, ja provozieren das Auge des Betrachters, wecken Erinnerungen an längst Vergangenes und halten uns die Fragilität unseres Seins, die Endlichkeit von Gewohntem und die Vergänglichkeit von Macht und Ruhm vor Augen. Mehr noch, in der heutigen schnelllebigen Wegwerfgesellschaft betrifft der viel bemühte Begriff der Nachhaltigkeit letztlich auch die Kultur. Die Abformungen architektonischer oder dinglicher Hinterlassenschaften mit feuchtem Büttenpapier sind Astrid Weichelts eigener Weg des Bewahrens. Ihre Werke tragen absichtsvoll Titel wie „Corpus Relicti“, ,,Verletzte Musen“, ,,Gefährdete Spezies“ oder „Crash“. Ihr Werk vermittelt also gleichsam Botschaften.
Die eingangs genannten drei Charakteristika waren es letztlich auch, die das Winckelmann-Museum dazu motivierten, eine repräsentative Auswahl von Astrid Weichelts Arbeiten in Stendal zu zeigen, enthalten diese doch bemerkenswerte Bezüge zu Johann Joachim Winckelmann, seinem Nachwirken und zur Archäologie. Als Darstellungsgegenstand wählt die Künstlerin zu einem großen Teil Fragmente von baulichem Schmuck aus Schlössern und Herrenhäusern des 18. und 19. Jahrhunderts in Berlin und Brandenburg. Es sind die Epochen des späten Barock und des Klassizismus. Der Rokoko-Stil umgab Winckelmann zu Lebzeit und bewegte ihn zur kritischen Wertung, womit er die Ästhetik des Klassizismus für das Folgejahrhundert vorgedacht hat. In ihren Abformungen macht Astrid Weichelt jene – brüchig gewordene -Ästhetik nachträglich erlebbar. Auch ikonographisch ist die Antike im Werk von Frau Weichelt durch zahlreiche Wesen der griechisch-römischen Mythologie präsent: Götter ebenso wie Musen oder die tragische Gestalt der Gorgo Medusa – doch dazu an anderer Stelle mehr.
Dr. Kathrin Schade
© Winckelmann-Gesellschaft,
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